Europäische Spinne des Jahres 2008
Die Große Winkelspinne – Tegenaria atrica C.L. Koch 1843
Wer kennt sie nicht: große, dunkle, behaarte Spinnen, die in der Badewanne oder dem Waschbecken auftauchen und vermutlich durch Größe und starken Kontrast vor dem kalkweißem Hintergrund teils heftige Reaktionen bei Menschen auslösen. Es ist meist die Große Winkelspinne, eine heimische Art, die weder giftig noch sonst gefährlich ist. Trotzdem ist es der Anblick genau dieser Spinnen, der den meisten Menschen das Verhältnis zu den Achtbeinern gründlich vermiest.
Für das Jahr 2008 ist die Große Winkelspinne zur Spinne des Jahres gewählt worden. Um Spinnen und die meist unberechtigten Vorurteile vor den Achtbeinern zu thematisieren, hätte die Jury keinen besseren Kandidaten auswählen können. Die Arachnologische Gesellschaft will mit der Aktion aufklären und Interesse oder zumindest Verständnis für die Natur um uns herum wecken.
Zum dritten Mal wird die Spinne des Jahres europäisch gewählt. Da nicht alle Arten der Gattung Tegenaria in jedem europäischen Land vorkommen, wurde eine Neuheit eingeführt: die gesamte Gattung wird ein Jahr europaweit in den Fokus der Öffentlichkeit gestellt. Dabei sucht sich jedes Land einen repräsentativen Lokalvertreter aus. In Deutschland fiel die Wahl auf die wohl häufigste und auffälligste Art: Tegenaria atrica. Wörtlich übersetzt heißt der wissenschaftliche Name: Schwarze Dachspinne. Dass sie zwar schwarz aber keineswegs nur unter dem Dach wohnt, mag der folgende Text veranschaulichen.
Winkelspinnen der Gattung Tegenaria bauen deckenartige Netze, die dem Namen gemäß zumindest in menschlichen Behausungen meistens in den Ecken eines Raumes gebaut werden: dort ist es für die Spinne am einfachsten, ihr Netz zu spannen und ihren trichterförmigen Schlupfwinkel anzulegen. Hierin verbringen die nachtaktiven Spinnen die meiste Zeit regungslos. In der Natur werden Netze unter Steinen, in hohlen Baumstämmen oder unter Böschungen gebaut. Etwa 70 der etwa 130 weltweit vorkommenden Tegenaria-Arten sind in Europa heimisch. In Deutschland gibt es 10 verschiedene Arten von Winkelspinnen: Die Mauerwinkelspinne (T. parietina) ist noch größer als die Große Winkelspinne, ist aber seltener. Die Hauswinkelspinne (T. domestica) ist bedingt durch ihre Lebensweise in Häusern weltweit verschleppt worden. Die Feldwinkelspinne (T. agrestis) lebt ausschließlich in natürlichen Habitaten. Zwei Arten (T. saeva aus Westeuropa, T. duellicaaus Großbritannien) sehen der Großen Winkelspinne äußerlich zum Verwechseln ähnlich und können nur mit dem Mikroskop unterschieden werden.
Die Große Winkelspinne (T. atrica) kommt in Europa und angrenzenden Gebieten vor und wurde zudem nach Nordamerika verschleppt. Sie kommt natürlicherweise an verschiedenen Stellen vor: in Steinbrüchen, unter Böschungen, unter Baumwurzeln. Im Siedlungsbereich der Menschen nimmt sie Ersatzlebensräume dankbar an: Efeu-bewachsene Hausmauern, Gartenhäuschen, Garagen, nicht zu trockene Keller. Ihren Schlupfwinkel legt sie geschützt und regenfrei an. Das Netz hingegen kann sich weit ausdehnen. Gerät ein Insekt oder eine Assel darauf, nimmt die Spinne die Schwingungen wahr, die die Bewegungen auf dem Deckennetz verursachen, und läuft blitzschnell zur Beute, beißt diese und injiziert dabei etwas Gift. Handelt es sich um eine kleinere Beute, wird diese direkt in die Wohnröhre hineingezogen. Wehrt sich das Beutetier heftiger, sucht Tegenaria nach dem Giftbiss meist ihren Unterschlupf auf, um die Wirkung des Giftes abzuwarten. Nach wiederholten Bissen kann sie meist auch größere Beute überwältigen und verzehrt diese im Schutze ihres Schlupfwinkels.
Tegenaria atrica zeichnet sich durch ihre tiefbraune Färbung aus, die beim Männchen etwas heller ausgeprägt ist. Im Gegensatz zu anderen hausbewohnenden Arten der Gattung (T. domestica, T. ferruginea, T. parietina) besitzt T. atrica keine geringelten Beine. Individuen der Großen Winkelspinne messen 10 bis 16 mm in der Körperlänge. Beeindruckender ist die Beinspannweite v.a. bei den langbeinigeren Männchen: bis zu 10 cm überzeugen unwissende Menschen nicht unbedingt von der Ungefährlichkeit der Art. Durch Selbstversuche haben Wissenschaftler herausgefunden: sollte eine Winkelspinne mit ihren Mundwerkzeugen durch die menschliche Haut gelangen, so hat das Gift keinerlei Wirkung. Vielmehr ist es lediglich der nadelstichartige Biss, der in diesem Zusammenhang bemerkenswert scheint. Eine Nebenbemerkung sei hier gestattet: auch als Experte braucht man viel Geduld und Geschick, um die Spinnen zum Beißen zu bewegen, ohne sie dabei zu verletzen.
Nimmt man eine Spinne z.B. aus der Badewanne sei es mit der Hand oder vorsichtiger mit Glas und Bierdeckel und setzt sie auf freien Fuß, besteht keinerlei Gefahr. Im Gegensatz hat man die Spinne nicht nur vor dem Tode bewahrt, sondern sich auch ein Stück der heimischen Natur angenähert!
Peter Jäger